Neues Deutschland Donnerstag, 26. Juni 2008
Dioxin aus den Dachluken

Mit einer Klage wollen Anwohner das Stahlwerk in Riesa stilllegen
Von Hendrik Lasch, Riesa

Das Feralpi-Stahlwerk in Riesa soll teilweise stillgelegt werden. Das fordern vier Anwohner. Grund ist der unerlaubte Ausstoß von Schwermetallen und Gift, der womöglich die Krebsrate in der Stadt in die Höhe treibt.

Ein wenig wirkt es wie Ironie, dass Jörg Niederleigs Firma ausgerechnet mit Reinigungsmitteln handelt. Denn der Riesaer Unternehmer hat ein gravierendes Schmutzproblem. Quelle des Drecks, der sich auf Autoscheiben, in Gärten und an den Wänden seines sanierten Hauses ablagert, ist sein Nachbar, das Elbe-Stahlwerk Feralpi (ESF) in Riesa. Die Hütte ist ein Traditionsbetrieb mit 150-jähriger Geschichte, der seit 1992 zum italienischen Feralpi-Konzern gehört. Für Riesa ist ESF mit über 400 Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber und der gewichtigste Steuerzahler. Für Nachbarn wie Niederleig ist es eine Schmutzschleuder, die potenziell ihre Gesundheit ruiniert.

Den Dreck, der aus dem Stahlwerk entweicht, hat Hobbyfotograf Niederleig in vielen Fotos festgehalten. Es handelt sich um gelbliche oder schwarze Wolken, die aus hohen Schornsteinen aufsteigen – aber nicht nur dort. Ein Hauptärgernis seien Dachluken von insgesamt 1100 Quadratmetern Fläche, aus denen Schadstoffe ungefiltert ins Freie gelangten, sagt Rechtsanwalt Wolfgang Baumann, der Niederleig und drei andere Anwohner bei einer Klage vor dem Verwaltungsgericht Dresden vertritt. Deren Ziel ist die Aufhebung einer Genehmigung, mit der 2006 die Kapazität des Werks von 675 000 auf eine Million Tonnen Stahl erhöht wurde. Die Folge, räumt Baumann ein, wäre »notwendigerweise die Stilllegung wesentlicher Teile der Produktion«.

Mit dem womöglich folgenreichen juristischen Vorstoß eskaliert ein jahrelanger Streit um die Umweltbelastung durch die Stahlhütte. Diese überschritt die Grenzwerte für giftige Schwermetalle sowie Dioxine in der Vergangenheit teils erheblich, sagt Baumann. So sei vor 1999 eine Dioxin-Konzentration von zeitweise 34,3 Nanogramm je Kubikmeter gemessen worden – das 343-fache des Erlaubten. Die Anlage sei »auf dem Niveau einer Sondermüll-Verbrennungsanlage der 60er Jahre« betrieben worden, schimpft der Jurist. Eine erhebliche Giftfracht stellten auch Staubwolken dar. Die Hütte stößt nach Berechnungen der Kritiker 53,5 Kilogramm Staub aus – pro Stunde.

Die Folgen einer solchen Verschmutzung sind womöglich tödlich. Udo Weiland, Landesvorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), verweist auf offizielle Statistiken, wonach in Riesa seit Jahren erheblich mehr Krebserkrankungen auftreten als in anderen Städten: »Hier sind es 260 Fälle je 10 000 Einwohner, in Dresden und Leipzig nur 160.« Der BUND hat zudem die Giftkonzentration in Riesaer Gärten gemessen. Mancherorts, sagt Weiland, rate man vom Verzehr der Eier und des Gemüses dringend ab.

Probleme mit Feralpi werden auch im Dresdner Regierungspräsidium, der zuständigen Genehmigungsbehörde, eingeräumt. Man habe das Unternehmen »nötigen« müssen, sich »sukzessive an die Grenzwerte anzunähern«, sagt der Sprecher Holm Felber. So wurden neben vier nachträglichen Anordnungen auch zwei Stilllegungsandrohungen ausgesprochen. Felber betont aber auch, eine gesundheitliche Gefährdung habe »zu keiner Zeit« bestanden, weil die Schadstoffe verdünnt und weiträumig verteilt würden. Seit dem Einbau einer neuen Filteranlage 2006 sei das Problem ohnehin behoben: Bei 18 Messreihen seien zuletzt alle Dioxin-Werte eingehalten worden; gleiches gelte für Feinstaub. Feralpi in Riesa gehöre mittlerweile sogar zu den »in Europa vorbildlichen Anlagen«, sagt der Sprecher.

Das sieht Baumann anders. Das Präsidium »redet die Gefahr herunter«, sagt der Anwalt und wirft der Behörde vor, bei der Erteilung der Genehmigung befangen gewesen zu sein. Jetzt werde nach Wegen gesucht, die Kläger ruhig zu stellen. Sie sollen samt ihren zumeist sanierten Häusern und der 2003 grundhaft erneuerten Straße einer ESF-Werkserweiterung weichen, sagt Niederleig. Früher, fügt er hinzu, »wäre ich zur SED-Kreisleitung gegangen«. Jetzt zieht der Unternehmer vor Gericht.

 
Rauchwolken vom Stahlwerk Feralpi in Riesa
Foto:
Jörg Niederleig